Flow

Flow und Leistung
Zur Rolle des Flow-Phänomens im betrieblichen Kontext

Tobias Heisig – Andreas Rossig

Zusammenfassung zur Diplomarbeit im Rahmen der Diplomprüfung
am Psychologischen Institut der Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Erstellt unter Anleitung von Prof. Dr. Kurt Stapf

Die Grundannahme

Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist das Konstrukt „Flow“ nach Mihalyi Csikszentmihalyi.

Die zu prüfende Grundannahme lautet:
Das Vorhandensein bestimmter Arbeitsbedingungen führt zu häufigerer Flow-Erfahrung und höherer Arbeitsleistung. Dabei ist die Flow-Erfahrung der Mediator zwischen diesen Arbeitsbedingungen und der höheren Arbeitsleistung. Dieser Zusammenhang wird moderiert durch das Leistungsmotiv als Personenvariable.

Die Grundannahme wurde im betrieblichen Kontext (Hotels) geprüft.

Was ist „Flow“?

Ausgehend von verschiedenen Konzepten intrinsischer Motivation wird das Konstrukt Flow als eine spezifische Phänomenologie dieser Ansätze beschrieben. Zentral ist dabei die Bestimmung der verschiedenen Flow-Dimensionen:

  1. Gefühl der Freude, des Glücks;
  2. Volle Konzentration, Aufmerksamkeit auf Aufgabe bzw. auf beschränktes Stimulusfeld;
  3. Abwesenheit aufgabenirrelevanter und selbstbezogener Kognitionen (Selbstvergessenheit) ohne Verlust des Kontaktes zur physischen Realität
  4. Verzerrung / Verlust des Zeitgefühls;
  5. Verschmelzung von Handlung und Bewußtsein;
  6. Handlungsschritte gehen ineinander über;
  7. Gefühl der Kontrolle von eigener Handlung und Umwelt;
  8. Sicherheit, das richtige zu tun.

Wie entsteht „Flow“?

Diese Dimensionen als Beschreibung der Erscheinungsform von Flow ist klar zu unterschieden von den Bedingungen für die Entstehung von Flow:

  1. Eine Balance zwischen Anforderungen und Fähigkeiten
  2. Klare Ziele und Regeln
  3. Eine unmittelbare und eindeutige Rückmeldung.
  4. Negentropie (Abwesenheit von kognitiver Dissonanz)

Welche theoretischen Bezugsrahmen sind wesentlich?

Wesentliche Bausteine des theoretischen Bezugsrahmens von Flow bilden die Goal-Setting-Theorie (Locke & Latham) sowie das Leistungsmotiv.

Die Goal-Setting-Theorie

In Bezug auf die Goal-Setting-Theorie können zentrale Parallelen, aber auch Unterschiede identifiziert werden, was die Entstehungsbedingungen für Flow auf der einen Seite und die Voraussetzungen für die Aufgabenleistung im Sinne des Goal-Setting auf der anderen Seite betrifft. Genauer zu betrachten ist die Maxime der Goal-Setting-Theorie, nach der schwierige und herausfordernde Ziele die Aufgabenleistung erhöhen. Csikszentmihalyis Theorie spricht bei der Konzeption der Flow-Bedingungen gleichzeitig von Herausforderung – analog dem Goal-Setting-Ansatz – sowie von Balance – im Sinne einer Ausgeglichenheit zwischen den aktuellen Handlungsmöglichkeiten und den jeweiligen Anforderungen. Csikszentmihalyi geht somit in diesem Punkt über den Goal-Setting-Ansatz hinaus.

Das Leistungsmotiv

Das Leistungsmotiv ist im hiesigen Kontext vor allem aus der Perspektive des Risikowahl-Modells (Atkinson und Feather) sowie der Theorien zur Kausalattribution (Weiner) zu beleuchten. Das Risikowahl-Modell bildet einen Bezugspunkt für die Flow-Bedingung „Balance zwischen Anforderung und Fähigkeit“, die Theorie der Kausalattribution stellt den theoretischen Hintergrund dar für die Frage nach der Leistungserbringung Mißerfolgsängstlicher unter Flow-Bedingungen.

Des weiteren sind die theoretischen Hintergründe der verbleibenden in der Grundannahme genannten Komponenten zu eruieren:

der Begriff der Leistung,
die Leistungsmotivation als moderierende Variable
sowie die Unterscheidung impliziter und selbstattribuierter Motive.

Letzterer Themenbereich war deshalb differenziert zu beleuchten, weil sich herausgestellt hat, daß die Ergebnisse von unterschiedlichen Meßinstrumenten für das Konstrukt Leistungsmotiv mit unterschiedlichen Verhaltenskorrelaten zusammenhängen. Aus diesem Grund kamen parallel zwei Meßinstrumente zur Erhebung des Leistungsmotivs zum Einsatz.

a) der PRF (Personal Research Form, Übersetzung n. Stumpf et al. 1985) und

b) das MMG (Leistungsmositv-Gitter, Schmalt et al. 1994).

Schließlich ist im Anschluß an Csikszentmihalyis Begriff der Negentropie (Abwesenheit von kognitiven Dissonanzen) der im organisationspsychologischen Kontext oft bemühte Begriff der Werte zu erörtern: Werte des Mitarbeiters auf der einen Seite und Werte, welche sich die Organisation explizit zum Anspruch erhebt auf der anderen Seite. Negentropie bedeutet in diesem Zusammenhang, daß zwischen den individuellen Werten und den Werten der Organisation zumindest in der aktuellen Situation der Flow-Erfahrung eine Übereinstimmung bestehen muß.

Die Hypothesen

Die in der Grundannahme bereits allgemein erfaßten Zusammenhänge sind in folgenden Hypothesen operationalisiert:

A
Je stärker die Kerndimensionen der „wahrgenommenen Arbeitsbedingungen“ (Balance zwischen Anforderungen und Fähigkeiten, Zielklarheit, Rückmeldung, Wertekongruenz) ausgeprägt sind, desto häufiger wird Flow während der Arbeit erlebt.

B
Je stärker die Kerndimensionen der „wahrgenommenen Arbeitsbedingungen“ (Balance zwischen Anforderungen und Fähigkeiten, Zielklarheit, Rückmeldung, Wertekongruenz) ausgeprägt sind, desto höher ist die Arbeitsleistung.

C
Die Flow-Erfahrung vermittelt als Mediator den Zusammenhang zwischen den Kerndimensionen der „wahrgenommenen Arbeitsbedingungen“ (Balance zwischen Anforderungen und Fähigkeiten, Zielklarheit, Rückmeldung, Wertekongruenz) und der Arbeitsleistung.

D
Das Leistungsmotiv moderiert als Personenvariable den Zusammenhang der Kerndimensionen der wahrgenommenen Arbeitsbedingungen (Balance zwischen Anforderungen und Fähigkeiten, Zielklarheit, Rückmeldung, Wertekongruenz) über die Flow-Erfahrung zur Arbeitsleistung.

Die Variablen

Damit sind die unabhängigen Variablen die von Csikszentmihalyi genannten Bedingungen für Flow („wahrgenommene Arbeitsbedingungen“):

  1. Balance zwischen Anforderungen und Fähigkeiten;
  2. Klare Ziele und Rückmeldung;
  3. Wertekongruenz.

Die Moderatorvariable bildet das Leistungsmotiv.

Auf Seiten der abhängigen Variablen steht zum einen die Flow-Erfahrung, zum anderen die Arbeitsleistung. Flow-Erfahrung wird dabei als Mediator zwischen den Arbeitsbedingungen und der Arbeitsleistung vermutet.

Die Erhebung

Das methodische Vorgehen besteht im Einsatz überwiegend eigenkonstruierter Skalen. Diese Skalen werden in einer Vorstudie evaluiert. Außerdem kommen der PRF zur Messung des selbstattribuierten Leistungsmotivs sowie das MMG zur Erfassung des impliziten Leistungsmotivs zum Einsatz. Insgesamt wurden zwei verschiedene Fragebögen an die Hotels vergeben:

  1. Der Fragebogen für Führungskräfte zur Erhebung der durch die jeweiligen Vorgesetzten eingeschätzten Leistung von Mitarbeitern;
  2. Der Fragebogen für Mitarbeiter, um die unabhängigen Variablen sowie die Flow-Erfahrung zu erfassen.

Befragt werden die Mitarbeiter von mittelständischen Schweizer Hotels. Es nehmen 89 Personen in 15 Teams teil.

Die Auswertung

Für die Auswertung der Daten werden Regressionsanalysen genutzt sowie die Pfadanalyse.

Die Variable Zielklarheit aufgrund hoher Korrelationen der Items mit der SD-Kontrollskala (Soziale Erwünschtheit) nicht in die Auswertung aufgenommen wurde.

Die Ergebnisse

Die auf diese Weise ausgewerteten Daten ergeben folgende Befunde:

Bestätigung der Hypothese A

Bei einer Regressionsanalyse erklären die Arbeitsbedingungen über 23% der Varianz der Flow-Erfahrung.

Es ergeben sich folgende signifikanten Beta-Koeffizienten:
Balance Anforderungen – Fähigkeiten: .25*
Rückmeldung: .39**

Bestätigung der Hypothese B

Bei einer Regressionsanalyse erklären die Arbeitsbedingungen über 17% der Varianz der Arbeitsleistung.

Es ergeben sich folgende signifikanten Beta-Koeffizienten:
Balance Anforderungen – Fähigkeiten: .23*
Rückmeldung: .33**

Keine Bestätigung der Hypothese C

Eine Analyse der Flow-Variablen als Prädiktor für die Leistung führte zu keiner Veränderung der Beta-Koeffizienten der Arbeitsbedingungen.

Keine Bestätigung der Hypothese D

Wenn man das Leistungsmotiv als Gruppierungsvariable nutzt, hat dies keinen Einfluß auf den Fit des mittels Pfadanalyse errechneten Modells. Dies gilt sowohl für das selbstattribuierte als auch für das implizite Leistungsmotiv. Bei letzterem konnte jedoch durch Einzelvergleich (Methode nach Sörbom) für die Pfade Balance -> Flow und Flow -> Leistung ein signifikanter Unterschied festgestellt werden

Die Diskussion der Ergebnisse

Die Befunde zu Hypothese A sind insofern interessant als sie Csikszentmihalyis Konzept des Flow-Kanals unterstützen, da Balance sich als Voraussetzung für die Entstehung von Flow erweist. Des weiteren scheint die bei Csikszentmihalyi eher im Hintergrund stehende Größe Rückmeldung eine durchaus zentrale Rolle bei der Entstehung von Flow zu spielen. Für die als Wertekongruenz operationalisierte Bedingung der Negentropie zeigt sich kein positiver Befund. Dieser Sachverhalt ist jedoch unter dem Aspekt zu betrachten, daß auch bei dieser Variablen Items aufgrund hoher SD-Korrelation eliminiert wurden.

In bezug auf die Erbringung von Leistung (Hypothese B) hat vor allem die Variable Rückmeldung einen großen Anteil. Die Wirkung von Balance ist differenzierter zu betrachten: Einerseits kann Herausforderung im Sinne des Goal-Setting-Ansatzes als Balance auf hohem Anforderungs-Fähigkeits-Niveau interpretiert werden. Andererseits wird deutlich, daß Menschen im beruflichen Kontext eher nach dem Möglichen und Erreichbaren suchen (Yearta) und deshalb eine Balance auf dem mittleren oder unteren Niveau anstreben. Eine explorative Analyse ergibt Befunde, die den Ansatz von Yearta eher unterstützen.

Die Widerlegung der Mediatorhypothese C geht vermutlich auf nicht gemessene Variablen zurück, die die Verbindung Flow -> Leistung moderieren. Einen Hinweis zu weiteren Moderatorvariablen geben Überlegungen zu leistungshemmenden Prozessen (Rheinberg).

Als dispositionelle Moderatorvariable für das Gesamtmodell scheidet jedoch das Leistungsmotiv aus (Hypothese D). Allerdings kann in Bezug auf den Pfad Flow -> Leistung ein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen der Erfolgszuversichtlichen und der Mißerfolgsängstlichen diagnostiziert werden (MMG). Dieser Effekt steht jedoch im Widerspruch zur erwarteten Richtung der Pfadausprägung. Bei Erfolgszuversichtlichen sollte der Pfad stärker ausgeprägt sein als bei den Mißerfolgsängstlichen (McClelland). Eventuell ist Flow für Mißerfolgsängstliche Antagonist zur leistungshemmenden ängstlichen Wachsamkeit. Mißerfolgsängstliche zeigen darüber hinaus eine engere Verbindung von Balance und Flow. Es kann vorsichtig vermutet werden, daß der für Mißerfolgsängsliche charakteristische Attributionsstil die Balance (im Sinne des Vertrauens, keinen Mißerfolg zu erleben) in höherem Maße erforderlich macht als für Erfolgszuversichtliche. Die Erfolgszuversichtlichen ihrerseits weisen im Pfad Balance -> Flow einen nichtsignifikanten Pfadkoeffizienten auf. Unter Rückgriff auf Csikszentmihalyis Begriff der autotelischen Persönlichkeit ist anzunehmen, daß Erfolgszuversichtliche zu dieser Gruppe gehören und damit unabhängiger sind von externen Bedingungen.